I love LinkedIn!

Eine junge Scheidungsanwältin und Influencerin kämpft auf LinkedIn für die Frauen dieser Welt! Toll. Care-Work würde nicht gewürdigt werden, Eheverträge seien Teufelszeug, weil sie zu 99,99 % die Frauen benachteiligen, und Männer machen sich einen faulen Lenz. Die Care-Work der Männer ist natürlich nicht der Rede wert, klar. Dass Scheidungsanwälte (nicht alle) in Sachen Mediation noch Nachholbedarf haben und eher Frauen aufhetzen, damit bei ihnen die Kasse klingelt, steht auf einem anderen Blatt.
But, ok, I love LinkedIn.

Eine junge Frau auf LinkedIn eröffnet ihren ersten Post. Tolle Sache. Gibt auch Applaus von mir. Wer sich selbständig macht, genießt meinen vollsten Respekt. Kommentar abgeschickt. Ein Like erhalten. Sache erledigt. Weiter so, junge Frau. Ich bekomme dann „Post“ von dieser Dame, die mir in der Nachricht schmeichelt. Alles toll bei mir usw. Ja, gut – ich habe ja auch was getan dafür.
Es folgt prompt die Einladung zum Videopodcast. Menschenskinder, das nenne ich mal nett. Ich bin dabei. Jungen Menschen muss geholfen werden. Ich habe sicherlich eine Menge zu erzählen.

Die zweite Nachricht stimmt mich jedoch etwas nachdenklich. Unser Gespräch würde 2 Stunden dauern und ich würde im Nachgang 30 Reels erhalten. Äh, brauche ich das? Will ich das? Ich frage sicherheitshalber nochmal nach, ob das Ganze hier kostenpflichtig ist, und erhalte dann auch die nette Nachricht, dass sie natürlich nicht gleich (!) etwas verkaufen will. Also später dann? Nichts gegen Verkaufen, aber die Methode ist schon recht fraglich.
Der zweite Post der jungen Dame geht ähnlich in Richtung „Bambi sucht eine starke, erfahrene Schulter zum Austauschen“. Letztendlich geht’s um Sales. Die unschuldige Bambi-Masche als Verkaufstrick. Wow – ich dachte, Frauen wollen nicht auf ihr Äußeres reduziert werden, glaubt man den zigtausend Posts, in denen sich Frauen über Sexismus beschweren.

But, ok, I love LinkedIn.

In der Welt geht der Punk ab: Gaza, Krieg, Ukraine, Putin, Wirtschaftspleiten, Massenentlassungen, Porsche schwächelt, Bosch schwächelt, Mercedes schwächelt, Rezession, Politikerdesaster usw.
Damit es mir vor lauter schlechten Nachrichten besser geht, gehe ich auf LinkedIn. Da gibt es keinen Halt mehr. Alle sind gut drauf – wer will schon mit Losern zu tun haben? Hier werden Karrieren gefeiert, neue Projekte gehypt, superliebe Coaches verteilen Weisheiten am Fließband, und jeder zweite ist „on a mission to change the world“. Keine Spur von Krise, kein Hauch von Unsicherheit – alles „super exciting“ und „life changing“.

LinkedIn ist wie eine Parallelwelt: Während draußen die Sirenen heulen, regnet es hier Likes, Emojis und Good Vibes.
But, ok, I love LinkedIn.